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»Nun, Sir, wenn es Ihnen nichts ausmacht, ich bin ein Nachbar von Ihnen, Sie finden meinen Buchladen an der Ecke zur Church Street und es würde mich freuen, wenn sie mal vorbeikämen. Vielleicht sammeln Sie ja selbst, Sir. Hier sind ›Britische Vogelarten‹ und ›Catullus‹ und ›Der heilige Krieg‹ – jedes von ihnen ein kleines Vermögen wert. Mit fünf Bänden könnten Sie diese kleine Lücke dort oben auf dem Regal füllen. Es sieht unaufgeräumt aus, nicht wahr?« Ich schaute nach rechts, um das Regal zu begutachten. Als ich mich wieder umdrehte, stand Sherlock Holmes mir gegenüber, lächelnd. Ich sprang auf die Füße und starrte ihn einige Sekunden in wildester Verwirrung an und dann muss ich wohl das erste und letzte Mal in meinem Leben in Ohnmacht gefallen sein. Ein grauer Schleier schwirrte vor meinen Augen und als er sich lichtete fand ich mich auf dem Boden wieder, mein Kragen geöffnet und der prickelnde Nachgeschmack von Brandy auf meinen Lippen. Holmes war über mich gebeugt, die Flasche in seiner Hand. »Mein lieber Watson«, sagte die wohl bekannte Stimme, »ich schulde Ihnen eintausend Entschuldigungen. Ich hätte nie gedacht, dass Sie das so mitnimmt.« Ich griff ihn am Arm. »Holmes!« schrie ich. »Sind Sie es wirklich? Kann es wirklich sein, dass Sie am Leben sind? Ist es möglich, dass Sie erfolgreich aus diesem grauenvollen Abgrund herauskletterten?« »Warten Sie einen Moment«, sagte er. »Sind Sie sicher, dass Sie in der Lage sind, über diese Dinge zu reden? Ich habe Ihnen mit meinem unnötig dramatischen Auftritt einen ziemlichen Schock bereitet.« »Mir geht es gut. Aber ehrlich, Holmes, ich kann es kaum fassen. Gute Güte! Dass ausgerechnet Sie hier in meinem Arbeitszimmer stehen.« Wieder fasste ich ihn am Ärmel und fühlte seinen dünnen, sehnigen Arm darunter. »Also, Sie sind jedenfalls kein Geist,« sagte ich. »Mein lieber Freund, ich bin überglücklich, Sie zu sehen. Setzen Sie sich und erzählen Sie mir, wie Sie aus dieser fürchterlichen Schlucht entkommen sind.« Er saß mir gegenüber und zündete sich in seiner gewohnt nonchalanten Art eine Zigarette an. Er trug immer noch den schäbigen Mantel des Buchverkäufers, aber der Rest dieser Person lag in einem kleinen Haufen weißer Haare und alter Bücher auf dem Schreibtisch. Holmes war dünner und angespannter als früher, auch war da ein weißer Farbton auf seiner Adlernase, der mir sagte, dass sein Lebenswandel in letzter Zeit nicht gerade gesund war. »Ich bin froh, mich einmal auszuruhen, Watson«, sagte er. »Es ist kein Spaß, wenn ein großer Mann sich über Stunden als ein kleinerer ausgeben muss. Nun mein Freund, was die Erklärungen angeht, so haben wir, wenn Sie mich heute Abend begleiten wollen, eine schwere und gefährliche nächtliche Arbeit vor uns und könnten uns vielleicht danach über meinen Werdegang unterhalten.« »Ich bin so voller Neugier, dass ich es am liebsten sofort hören würde.« »Kommen Sie heute Nacht mit mir mit?« »Überall hin, zu jeder Zeit.« »Dann ist es wirklich wie in den alten Zeiten. Wir haben noch Zeit für einen Happen Abendessen, bevor wir los müssen. Also, was die Schlucht angeht, so war es für mich sehr leicht dort, heraus zu kommen, aus dem einfachen Grund, dass ich niemals darin war.« »Sie waren nie in der Schlucht?« »Nein, Watson, das war ich nicht. Meine Nachricht an Sie war jedoch absolut ehrlich gemeint. Ich hatte wenig Zweifel, dass mein Ende nah war als ich die dunkle Gestalt des nun verblichenen Professors Moriarty zwischen mir und dem schmalen Weg in Sicherheit erblickte. Ich sah eine erbarmungslose Absicht in seinen grauen Augen. Nach dem Austausch einiger Bemerkungen, durfte ich Ihnen mit seiner freundlichen Erlaubnis diese kurze Notiz schreiben, die Sie ja später auch gelesen haben. Ich ließ meine Zigarettenschachtel und meinen Stock zurück und ging weiter den Pfad hinauf, Moriarty direkt hinter mir. Am Ende angekommen saß ich in der Falle. Er zog keine Waffe, kam aber auf mich zugestürzt und packte mich mit seinen Armen. Er wusste, dass sein Spiel vorbei war und wollte sich nur noch an mir rächen. Wir rangelten und taumelten am Rand des Abgrunds. Glücklicherweise habe ich einige Kenntnis des japanischen Kampf-Stils Baritsu, die mir schon bei vielen Gelegenheiten sehr nützlich war. Ich entkam also seinem Griff und er suchte fürchterlich schreiend und mit den Armen einige Sekunden lang in der Luft wirbelnd nach Halt, jedoch ohne Erfolg und stürzte in die reißenden Fluten. Über den Rand gebeugt, sah ich ihn in die Tiefe fallen. Dann schlug er auf einen Felsen auf, prallte ab und platschte ins Wasser.« Gebannt hörte ich Holmes' Bericht zu, der nur von gelegentlichen Zügen an der Zigarette unterbrochen wurde. »Aber die Fußspuren!« rief ich aus. »Ich sah doch mit eigenen Augen, dass zwei hin und keine zurück führten.« »Das erklärt sich folgendermaßen. In dem Moment, als der Professor abstürzte, kam mir der Gedanke welch ausgesprochene glückliche Fügung mir das Schicksal brachte. Ich wusste, dass nicht nur Moriarty meinen Tod wollte. Es gab da mindestens drei andere, deren Rachedurst durch den Tod ihres Anführers nur noch geschürt wurde. Sie waren alle hochgefährliche Männer. Einer von denen hätte mich sicher gekriegt. Andererseits, wenn die ganze Welt von meinem Tod überzeugt wäre, würden diese Männer sicher nachlässig und sich verraten, so dass ich sie früher oder später erwischen würde. Dann erst wäre es für mich an der Zeit bekannt zu geben, dass ich immer noch im Reich der Lebenden weile. So schnell schossen mir diese Gedanken durch den Kopf, dass ich glaube, ich hatte das alles schon durchdacht, bevor Professor Moriarty unten an den Reichenbachfällen aufschlug. Ich stand auf und begutachtete die Felswand hinter mir. In Ihrem blumenreichen Bericht des Vorfalls, den ich einige Monate später höchst interessiert las, sprachen Sie davon, dass diese Wand unbezwingbar sei. Das war nicht ganz der Fall. An ein paar kleinen Stellen konnte man Fuß fassen und es gab auch einen winzigen Absatz. Das gesamte Kliff hochzuklettern war, da hatten Sie recht, allein schon wegen der Höhe unmöglich und dasselbe galt für den Rückweg über den nassen Pfad, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich hätte natürlich, wie ich es früher schon ein paar mal gemacht habe, rückwärts laufen und so meine Abdrücke umkehren können, jedoch hätte ein drittes Paar Fußspuren in die gleiche Richtung eindeutig nach einem Trick ausgesehen. Alles in allem war es daher am besten, den Aufstieg zu versuchen. Ich sage Ihnen, Watson, das war keine angenehme Aufgabe. Der Wasserfall dröhnte unter mir. Ich bin kein leichtgläubiger Mensch, aber ich hätte schwören können, dass ich Moriarty aus der Schlucht hinauf habe schreien hören. Ein Fehltritt wäre tödlich gewesen. Mehr als einmal, als ich statt Fels nur Grasbüschel in der Hand hatte oder in den nassen Scharten des Felsens abrutschte, dachte ich es wäre nun vorbei mit mir. Aber ich kämpfte mich weiter nach oben und erreichte einen Vorsprung, vielleicht einen Meter breit und mit weichem Moos bedeckt. Dort konnte ich mich sehr komfortabel verstecken. Dort lag ich ausgestreckt, als Sie dann, mein lieber Watson, und all Ihr Gefolge kamen und in rührendster und ineffektivster Weise die Umstände meines Todes erforschten. Schließlich, als Sie alle Ihre naheliegenden, doch vollkommen falschen Schlussfolgerungen zogen und zum Hotel zurück gingen, war ich wieder allein. Ich dachte eigentlich, dass damit meine Abenteuer an diesem Tag beendet wären, aber eine unerwartete Wendung zeigte mir, dass auf mich immer noch Überraschungen lauerten. Ein großer Felsblock schoss von oben herab an mir vorbei, fiel auf den Pfad und rollte weiter in den Abgrund. Einen Augenblick lang dachte ich es hätte sich um einen Zufall gehandelt, aber dann sah ich, als ich hinaufschaute, den Umriss eines Kopfes gegen den Nachthimmel und ein weiterer Brocken traf den Absatz, auf dem ich lag und verfehlte meinen Kopf nur um Haaresbreite. Natürlich war die Bedeutung dessen klar. Moriarty ist nicht allein gewesen. Ein Komplize – und obwohl ich nur einen kurzen Blick auf ihn erhaschte, wusste ich wie gefährlich dieser Komplize war – hat für den Professor Wache gehalten als er mich angriff. Aus einiger Entfernung und von mir unentdeckt war er Zeuge des Todes seines Freundes und meines Entkommens geworden. Er wartete und ging dann außen herum zur Spitze des Kliffs, von wo aus er beabsichtigte, das Werk zu vollenden, bei dem sein Kamerad gescheitert war. Ich hatte kaum Zeit nachzudenken, Watson. Wieder sah ich das grimmige Gesicht über das Kliff sehen und wusste, dass gleich der nächste Stein fallen würde. Ich kämpfte mich wieder hinunter zum Pfad. Ich hätte es wahrscheinlich nicht geschafft, wenn ich Zeit gehabt hätte nachzudenken, es war hundertmal schwieriger als der Aufstieg. Es gab aber nur diese Möglichkeit. Ein weiterer Stein sauste herab, als ich mit den Händen an dem Felsvorsprung hing. Nach der halben Strecke rutschte ich ab und fiel hinunter, aber Gott sei Dank landete ich blutend und verstaucht auf dem schmalen Pfad. Ich nahm daraufhin die Beine in die Hand und schaffte zehn Meilen über die Berge in der Dunkelheit und eine Woche später erreichte ich Florenz mit der Gewissheit, dass niemand auf der Welt wusste was aus mir geworden war.